F.v. Hayek, Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung (1966)

Vorbemerkung

In diesem Referat scheint Hayek seine Position auf den Punkt bringen zu wollen. Das heute der Umbau der Gesellschaft unter dem Vorzeichen des „Liberalismus" im Hayekschen Verständnis durchgezogen wird, ist es sicher von Nutzen, die Konturen dieser Position deutlicher sichtbar zu machen. Ich versuche daher, aus diesen 61 Thesen (21 Seiten) das Wichtigste Herauszuheben. Damit soll die Unverbindlichkeit des Liberalismus-Begriffes reduziert werden.

1. „Liberalismus" ist das Konzept einer wünschenswerten politischen Ordnung; dieses Konzept ist zuerst in England entwickelt worden, in der Zeit zwischen Ende des 17. Jhdts (Old Whigs) und Ende des 19. Jhdts (Gladstone).

Typische Vertreter (für die Idee der Freiheit unter dem Gesetz) in England: Hume, Smith, Burke, Macaulay u. Lord Acton, auf dem Kontinent: Constant, Toqueville (Frankreich), Kant, Schiller, W.v. Humboldt (Deutschland) und Madison, Marshall, Webster (U.S.A.).

2. Dieser Liberalismus ist scharf zu unterscheiden von einer kontinentaleuropäischen Tradition, ebenfalls Liberalismus genannt, doch etwas anderes darstellend: an die Stelle der Forderung der Beschränkung der Regierungsgewalt setzten sie das Ideal einer unbeschränkten Gewalt der Mehrheit.
Vertreter: Die mit Voltaire, Rousseau, Condorcet und der frz. Revolution verbundene Tradition also die Vorläufer des modernen Sozialismus.

3. Liberalismus und Demokratie sind zwar miteinander vereinbar, doch nicht identisch.
Beim Liberalismus geht es um das Ausmaß der Regierungsgewalt, bei der Demokratie darum, wer diese Gewalt ausübt.
Zur Verdeutlichung: Gegenteil von Liberalismus ist der Totalitarismus, Gegenteil der Demokratie aber der Autoritarismus.

4. Dies beiden politischen Philosophien, die sich beide Liberalismus nennnen, beruhen auf völlig unterschiedlichen philosophischen Grundlagen:
Die erste auf einer evolutionären Interpretation aller Kultur- und Geistesphänomene und der Einsicht in die Begrenztheit des Verstandes, die zweite auf einem konstruktivistischen Rationalismus, der in allen kulturellen Erscheinungen das Ergebnis wohlüberlegter Entwürfe sieht.

5. Alles Folgende bezieht sich auf die erste Art des Liberalismus, die nicht Resultat einer theoretischen Konstruktion ist, sondern anderen Ursprungs ist: sie kommt aus dem Wunsch, die Wohltätigen Wirkungen zu generalisieren, die sich aus der Beschränkung der Staatsgewalt ergeben.

6. Der Liberalismus hat sich also ergeben aus der Entdeckung einer sich selbst bildenden oder spontanen Ordnung.

7. Adam Smith und seine Nachfolger entwickelten die grundlegenden Prinzipien des Liberalismus. Voraussetzung dabei: Vertrautheit mit dem „common-law"-Begriff der Gerechtigkeit und den Idealen des „rule auf law" und des „government under the law".
Diese Begriffe wurden außerhalb der angelsächsischen Welt kaum verstanden.

8. Zentrale Überzeugung des Liberalismus: die spontane Ordnung ist höher an Komplexität als jede Ordnung, die durch wohlbedachte Anordnung geschaffen werden kann.
Die spontane Ordnung entsteht, sobald allgemeine Verhaltensregeln zum Schutz der klar umrissenen Privatsphäre des einzelnen durchgesetzt werden.

9. Im Folgenden geht es um die Erläuterung der beiden Ordnungsprinzipien: Einerseits die auf abstrakten Regeln beruhende spontane Ordnung, andererseits aber die auf Befehlen basierende Anordnung.

10. Erste Eigentümlichkeit der spontanen Ordnung: man kann sich der ordnenden Kräfte bedienen, um eine Ordnung weit komplexerer Erscheinungen zu erreichen.
Anders formuliert: Unser Einfluß erstreckt sich nur auf den abstrakten Charakter der Ordnung, nicht aber auf ihre konkreten Einzelheiten.

11. Ebenso wichtig: die spontane Ordnung dient keinem bestimmten Zweck, braucht keine Vereinbarung über konkrete Ziele.
Speziell die marktwirtschaftliche Ordnung beruht nicht auf gemeinsamen Zielsetzungen, sondern auf Reziprozität, d.h. dem Ausgleich verschiedener Interessen

12. Begriffe wie Gemeinwohl oder öffentliches Interesse sind nicht die Summe bestimmter Ziele, sondern nur eine abstrakte Ordnung, die jedem Individuum die beste Chance biete, seine Kenntnisse erfolgreich für seine persönlichen Zwecke zu nutzen. Eine derart freie Gesellschaft läßt sich als nomokratisch bezeichnen, im Gegensatz zur unfreien teleokratischen Ordndung.

13. Die spontane Ordndung ermöglicht friedliche Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen, die Bildung einer Großen oder Offenen Gesellschaft.
Diese evolutionär entstandene Ordnung (Familie / Horde / Sippe / Stamm / Fürstentum / Reich / Nationalstaat) beruht auf der Einhaltung von Regeln, die sich deswegen durchgesetzt haben, weil die Gruppen, die sich an sie gehalten haben, erfolgreicher gewesen sind als andere.

14. Die spontane Ordnung als Wirtschaft zu bezeichnen ist irreführend.
Hier ist zugleich eine wichtige Quelle für sozialistische Bestrebungen, welche die spontane Ordnung des Marktes in den Dienst eines ausgehandelten Zielkataloges stellen wollen.

15. Eine Wirtschaft im strengen Wortsinn ist eine Organisation oder eine vorbedachte Ordnung, beruht auf ineinandergreifenden Entscheidungen, auf der Verwendung verschiedener Ressourcen auf konkurrierende Ziele.

16. Die spontane Ordnung ist etwas fundamental anderes als eine „Wirtschaft" im strengen Sinn. Um Klarheit zu schaffen, Vorschlag des neue Begriffes Katallaxie, analog zu Katallaktik, einem Ersatz für „Ökonomik".
Katallatein: tauschen, handeln, aber auch „in die Gemeinschaft aufnehmen", „vom Feind zum Freunde machen".

17. Die „Ordentlichkeit" der Katallaxie (als spontaner Ordnung) besteht nicht in der Ausrichtung auf eine bestimmte Zielhierarchie. Sie kann daher nicht sicherstellen, das Wichtiges vor dem weniger Wichtigen erreicht wird.
Daher von den Gegnern abgeleht: sozialistische Forderungen laufen auf nichts anderes hinaus, als aus der Katallaxie eine echte Wirtschaft zu machen.

18. Ausbreitung der friedlichen Ordnung ist das Ergebnis der Ausdehnung formaler (zweckunabhängiger) Verhaltensregeln auf die zwischenmenschlichen Beziehungen: nichts ist vorgeschrieben, lediglich die Verletzung der Privatsphäre des Individuums verboten.

19. Der Liberalismus will darum die Zwangsgewalt (Souveränität) der Regierung auf die Durchsetzung solcher Regeln beschränken. Liberalismus ist „rule of law" im klassischen Sinne.

20. Für Leistungen, welche die spontane Ordnung nicht erbringt, sollen der Regierung fest abgegrenzte Mittel übertragen werden

21. Liberalismus und Rechtsvorstellungen

22. Liberalismus und Rechtstheorie: auf der Linie von Hume und Kant, ist den herrschenden Rechtstheorien völlig fremd

23.Besondere Auffassung von Gerechtigkeit

24. Ungleiche Güterverteilung ist nie als ungerecht zu bezeichnen: distributive Gerevchtigkeit zerstört die liberale Rechtsordnung

25. Frei ist der, dem man nicht sagt, was er tun soll, sondern nur der, dem man sagt, was er nicht tun darf.

26. Seit Locke ist die geschützte Sphäre die Sphäre des Eigentums;

27. Test der Generalisierbarkeit einer Regel ist (seit Kant) ist ihre Universalisierbarkeit.

28. Nur zweckunabhängige (formale) Regeln können diesen Test bestehen.

29. Erzählung der Entstehung der spontanen Ordnung.

30. Die liberale Ordnung ist (nach Franz Böhm) eine Privatrechtsgesellschaft.



31. Rechtsordnungen durch Privat- und Strafrecht und Rechtsordnungen durch öffentliches Recht.

32. Verdrängung von Privat.- und Strafrechtsordnung durch öffentliches Rechts führt vom Liberalismus zum Totalitarismus.

33. Begriff des Gesetzes. rule of law oder Organisationsregel.

34. Gerechtigkeitsvorstellung: soziale oder distributive Gerechtigkeit ist abwegig.

35. Begriffe wie „gerechter Preis" oder „gerechter Lohn" oder „gerechte Einkommensver- teilung" ssind Spekulationen, die mit einer Katallaxie nichts zu tun haben.

36. In der spontanen Ordnung des Marktes (Katallaxie) kann niemand vorhersehen, was jemand bekommt, und niemand ist dafür verantwortlich, wer was bekommt.

37. Von gerechter Einkommensverteilung zu sprechen ist völlig unsinnig.

38. Bestrebungen für eine „gerechtere" Ordnung führen in eine totalitäre Ordnung.

39. Aktionen der Regierungsgewalt zugunsten der „positiven" (sozialen und distributiven") Gerechtigkeit sind eine Fata Morgana.

40. Es kann keine Regeln geben, wieviel jeder Zusammenhang zwischen subjektivem man „haben sollte".

41. Die Marktordnung bringt keinen Zusammenhang subjektiven Verdienst und individuellen Bedürfnissen und Belohnungen zusammen. Sie arbeitet nach dem Prinzip eines Spiels, in dem Geschicklichkeit und Chancen kombiniert werden. Jeder wird nach dem Wert entlohnt, den seine speziellen Leistungen für diejenigen haben, denen er sie darbringt.

42. Der Begriff „Wert für die Gesellschaft" ist ein unzulässiger anthropomorpher Ausdruck.

43. 44. Unberechtige Kritik am Markt.

45. Negation des bonum commune

46.47.48.49. Vorstellungen über eine optimale Wirtschaftspolitik gehhen ins Leere.

50.Güter- und Einkommensverteilung: Jedermann, ob arm oder eich, erreicht sein Einkommen als Ergebnis eines Spiels, in dem Geschicklichkeit und Chancen kombiniert werden.

51. - 57: Auffallend viele Immunisierungsformeln: kaum ein Zweifel, vor allem, es ist zweifelhaft, einige,, ich glaube, mir scheint...

58: Absprachen über Handelsbeschränkungen sind für unwirksam zu erklären: Monopolistische Praktiken, die heute das Funktionieren des Marktes bedrohen, sind seitens der Arbeiter viel gravierender als seitens der Unternehmer, und ob es uns gelingt, diese wieder zu beschränken, wird für die Erhaltung der Marktordnung viel entscheidender sein als irgend etwas sonst.

59. Versuche, autoritär angemessene Einkommen für verschiedene Gruppen festzulegen,...zerstören die Marktordnung

60 Geld- und Finanzpolitik fallen nicht in den Rahmen dieses Referates.

61. Zum Schluß Zusammenfassung der grundlegenden Prinzipien der liberalen Ordnung: Alle Zwangsfunktionen der Regierung müssen von der überragenden Bedeutung dessen geleitet sein, was er (Hayek) als die drei großen Negative bezeichnet: Friede, Gerechtigkeit und Freiheit. Zwangsgewalt der Regierung ist auf die Durchsetzung solcher (als abstrakte Regeln) formulierte Verbote zu beschränken und auf die Eintreibung der nach gleichen einheitlichen Regeln zu erhebenden Kosten für die nicht mir Zwangscharakter ausgestatteten Dienste, welche die Regierung den Bürgern leistet.

PS: Soweit die Eckpunkte des liberales Konzeptes, 1966 formuliert, heute zum Programm der weltweiten Liberalisierungsbestrebungen erheben. Die Bezugspersonen, auf die sich Hayek beruft, finden sich in: F.H., Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971. Inzwischen gibt es neuere Forschungen dazu, wobei ich besonders auf Y.Ch. Zarka (Ed.), Aspects de la pensée médiévale das la philosophie politique moderne, Paris 1999 hinweisen möchte. O.N.